Prozessbericht 26.02.2024: Aktenkundige Videos für die Beweisführung irrelevant? Zeuge glaubwürdig, weil er glaubwürdig ist?

Eine Antwort auf den heutigen Prozess und der Berichterstattung:
https://www.fr.de/frankfurt/fechenheimer-wald-besetzerin-verurteilt-92855618.html
https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/klimaaktivistin-nach-besetzung-im-fechenheimer-wald-verurteilt-19547204.html

Heute war der dritte und letzte Prozesstag eines der Fecher-Prozesse gegen die Studentin S.
Die vorsitzende Richterin lehnte heute alle Beweisanträge der Verteidigung ab. Insbesondere die Videos, von denen Sie eingangs sagte, dass diese heute angesehen werden sollen und für die eigens der dritte Prozesstag veranschlagt war, wollte sie nicht in der Verhandlung gezeigt sehen. Dabei waren die Videos von dem fraglichen Geschehen durch die Polizei aufgenommen worden und somit Bestandteil der Akte. Es stellt sich die Frage, warum ein Video, dass bereits im Strafbefehl als Beweismittel gelistet ist, in einer öffentlichen Hauptverhandlung nicht angesehen werden soll. Unklar bleibt auch die Frage, warum es trotz stundenlangen Filmens durch die Polizei ausgerechnet vom Zeitpunkt der vorgeworfenen Widerstandshandlung keinerlei Aufnahmen gibt.

Weil von der vorgeworfenen Widerstandshandlung keine Videos existieren, stützt sich die komplette Anklage wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte allein auf die Aussage des SEK-Beamten Nr. 45, der am vergangenen Prozesstag vernommen wurde. Somit ist es für eine Verteidigung absolut essenziell, Zweifeln an der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen nachzugehen.
Mit den Beweisanträgen wollte die Verteidigung beweisen, dass die Aussagen des SEK-Beamten Nr. 45 teilweise den Ereignissen, wie sie im Video zu sehen sind, widersprechen. Damit sollte die Glaubwürdigkeit der subjektiven Wahrnehmungen des SEK-Beamten – der in der Vernehmung die ganze Zeit vermummt blieb – in Frage gestellt werden. Auch sollte gezeigt werden, dass der SEKler unprofessionell und akut lebensgefährdend handelte.

Beispielsweise hatte der SEKler behauptet, sicher mit seinen Geräten umgehen zu können und sich und die Angeklagte professionell abgeseilt zu haben. Im Video hätten wir das Gerät erkennen können, was er dazu verwendet hatte, ein „ZigZag“ des Herstellers Petzl. Dieses ist laut Herstellerangaben nur im absoluten Notfall (der hier nicht gegeben war) zum Retten von Personen zugelassen. Beim Ansehen der Videos wäre außerdem klar geworden, dass er das Sicherungsgerät nicht sicher bedient hat: Mit der Hand, mit der beim Abseilen das Bremsseil immer festgehalten werden muss, kratzte er sich stattdessen am Kopf.

Bei der Behandlung der Anträge folgte Richterin Bock einem seltsamen Zirkelschluss: Die Beweisanträge wurden abgelehnt, mit der Begründung, dass der Zeuge dem Gericht bereits als glaubwürdig gelte und etwas anderes ausgesagt hatte. Dürfen Beweisanträge der Verteidigung also nicht dazu da sein, Tatsachenbehauptungen aus den Beweisanträgen der Staatsanwaltschaft in Frage zu stellen? Und braucht man die Glaubwürdigkeiten des Belastungszeugen deshalb nicht zu hinterfragen, weil er ja glaubwürdig ist? Ein absurder Zirkelschluss.
Weiterhin warf die vorsitzende Richterin der Angeklagten vor, sich im Prozess unprofessionell und respektlos verhalten zu haben. Damit scheint wohl gemeint zu sein, nicht aktiv an der eigenen Verurteilung mitgewirkt zu haben, sondern sich stattdessen zu verteidigen. In Anbetracht der offensichtlichen Aktenunkenntnis und mangelnder Prozessvorbereitung der vorsitzenden Richterin, in Bezug auf den Strafantrag der Autobahn GmbH und der Videos, muss wohl eher sie selbst sich den Vorwurf der Unprofessionalität gefallen lassen.

Professionelles und respektvolles Verhalten der Angeklagten wäre aus ihrer Sicht wohl gewesen: konstruktiv an der Verurteilung mitzuwirken und ansonsten die Profis hinterm Richterpult machen zu lassen. Entlastende Beweisanträge der Verteidigung zugunsten der Angeklagten schienen für die Richterin dabei nicht Teil des Wahrheitsfindungsprozesses zu sein, sondern lästig und unnötig.
So rügte Richterin Bock Verteidiger Matthias Janko – nebenbei bemerkt auf sehr respektlose Weise – Beweisanträge nicht vorher eingereicht zu haben. Dabei hat die Verteidigung gerade das Recht in der öffentlichen Hauptverhandlung Beweisanträge zu stellen, auch ohne vorherige Abstimmung mit dem Gericht. Des weiteren beschwerte sie sich, dass er nicht schon im Vorfeld der Verhandlung angeregt hatte, nach dem richtigen Strafantrag zu suchen. Warum eine Verteidigung dem Gericht dabei helfen soll, belastendes Material gegen seine Mandantin zusammenzutragen bleibt unklar.

Wir sind schockiert von der mangelnden Unparteilichkeit der Vorsitzenden. Mangelndes Beweismaterial wird zu Lasten der Angeklagten ausgelegt, entlastendes Beweismaterial gar nicht erst zugelassen. Das Gericht vollzieht eine Beweislastumkehr und lehnt anschließend die Beweisanträge der Verteidigung ab. Dabei wären die heute abgelehnten Beweisanträge ein wichtiger Teil der Wahrheitsfindung gewesen. Aber vermeintliche Wahrheitsfindung scheint nur von Interesse, solange das Grundgerüst der Verurteilung – sei es die Wirksamkeit des Strafantrags oder die Expertise des SEK-Beamten – nicht in Zweifel gezogen wird. So zeigt die Richterin kein Interesse daran, ihre mangelnde Sachkenntnis zum Thema Klettertechnik durch einen Sachverständigen oder durch die, in den Beweisanträgen der Verteidigung, zusammengetragenen Quellen auszuräumen; stattdessen vertraut sie einfach vorbehaltlos dem SEK-Zeugen. Auch der Hinweis von Richterin Bock, dass sie Teile der mutmaßlichen Widerstandshandlung (der Griff an den Karabiner) als nicht hinreichend bewiesen bewertet, erweist sich als konsequenzlos, denn an dem juristischen Vorwurf des Widerstandes ändert sie dadurch nichts.

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